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„Sachlichkeit und Expertise sind unser Markenzeichen“

Von den etwa 39 Millionen Radfahrenden in Deutschland sind 230.000 Mitglied im ADFC. Der Fahrradclub ist damit die größte Interessenvertretung der Radfahrenden hierzulande. Seit Kurzem hat nun Dr. Caroline Lodemann als Geschäftsführerin die Leitung des Bundesverbands übernommen. Im Interview erklärt sie, wie der ADFC mit „Sachlichkeit und Expertise“ den Ausbau des Radverkehrs künftig weiter vorantreiben und verkrustete Strukturen aufbrechen soll. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Sie waren bisher vor allem im Umfeld von Bildung und Forschung aktiv. Was hat Sie nun an der neuen Aufgabe beim ADFC gereizt?
Wir leben in einer Zeit großer Transformationen, wie der Energiewende oder der Verkehrswende. Aus meiner Tätigkeit im Forschungsmanagement kenne ich das Motiv unserer Welt in Bewegung, wie Menschen, Ideen, Dinge sich fortbewegen und warum. Beim ADFC kann ich nun diesen gesellschaftlichen Prozess des Wandels mitgestalten. Die Verkehrswende ist für mich zudem ein sehr persönliches Thema. Ich bin Sportlerin, ich fahre gerne Rad und bin damit in Berlin auch fast täglich unterwegs. Für mich funktioniert Radfahren an vielen Ecken in der Stadt inzwischen gut, an anderen wiederum überhaupt nicht. Das spüre ich besonders, wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin. Es gibt also noch viel zu tun. Außerdem fasziniert mich das Fahrrad an sich. Das Fahrrad ist ganzheitlich gut. Selbst für die, die es nicht nutzen, verbessert es sofort ihren Alltag, weil es Platz spart, keine Emissionen verursacht und die Radfahrenden fit hält. Das Fahrrad ist gut für die Gesellschaft.

Dennoch sind die Zeiten momentan schlecht für den Ausbau des Radverkehrs. Das Bundesverkehrsministerium hat das Budget gekürzt und die wichtige Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ist im Bundesrat gescheitert und damit auch die Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO). Was sehen Sie vor diesem Hintergrund momentan als Ihre wichtigste Aufgabe?
Wir befinden uns in der Tat gerade in einer schwierigen Lage. Die StVG-Reform ist nach wie vor unser zentrales Thema. Sie ist die Basis für den Ausbau des Radverkehrs, das bekommen wir auch aus den Bundesländern gespiegelt. Deshalb führen wir seit Monaten viele Gespräche auf allen erdenklichen Ebenen. Wir brauchen mehr nachhaltige Mobilität in den Städten. Dafür ist das gemeinsame Auftreten mit vielen, die am selben Strang ziehen, wichtig, um unseren Argumenten mehr Gewicht zu verleihen.
Das zweite Thema ist die Finanzierung. In Zeiten schwieriger Haushalte ist das ein dickes Brett. Wir wollen erreichen, dass die Finanzierung des Radwegausbaus dauerhaft mit der notwendigen Fahrradmilliarde vom Bund gesichert wird. Nur dann erhalten die Kommunen die notwendige Planungssicherheit und können auch die Fördermittel abrufen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Wir haben die Vernunft auf unserer Seite. Wir können mit dem Radverkehr an ganz vielen Stellen Lösungen anbieten.

Was meinen Sie damit? In welchen Bereichen kann der ADFC der Bundesregierung helfen, ihre Ziele zu erreichen?
Etwa beim Klimaschutz. Das Klimaschutzpotenzial des Radverkehrs ist groß. Wir haben gerade mit Unterstützung vom Fraunhofer ISI das enorme Einsparpotenzial berechnet, das entsteht, wenn durch gute Infrastrukturangebote Verkehr vom Auto auf das Rad verlagert wird. Wir brauchen diese wissenschaftlich basierten Fakten, um die Vorteile des Radverkehrs noch stärker aufzuzeigen. Weiteres Potenzial sehe ich in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Laut einer WHO-Studie von 2020 leiden mittlerweile 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen weltweit an Bewegungsmangel. Das kann zu Übergewicht führen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkproblemen oder auch zu motorischen Einschränkungen. Die Kinder nehmen die Bewegungsarmut und ihre Folgen mit in ihr Erwachsenenleben. Deshalb lohnt es sich bereits heute für Arbeitgeber, selbstständige Kindermobilität zu fördern. An dieser Stelle kann der ADFC neue Partner finden. Wenn die Kinder mit dem Rad zur Schule oder zu Freunden radeln, kommen sie in Bewegung.

Momentan scheitern viele Verbesserungen für den Radverkehr an der Bundespolitik. Was ist in dieser Legislaturperiode für den Ausbau des Radverkehrs überhaupt noch drin?
Ich komme aus der Wissenschaft. Meine Politikarbeit war Lobbyarbeit und Politikberatung. Ich bin überzeugt, dass wir als Verband mit unseren Inhalten in die Politik wirken, wenn wir gute Argumente haben und diese zur Verfügung stellen. Dazu gehört, dass wir intensive Gespräche führen, um einseitige Positionen in der Gesellschaft aufzubrechen. Ich bin überzeugt, dass man den Ausbau des Radverkehrs nicht gegen etwas anderes durchsetzen kann. Im Gegenteil, wir müssen den Ausbau des Radverkehrs mit anderen Dingen und Verkehren zusammen denken.

Den Klimaschutz hatten Sie bereits erwähnt, aber wie kann man den Radverkehr mit anderen Verkehren zusammen denken?
Unser verkehrspolitisches Programm zeigt dafür verschiedene Beispiele. Etwa Tempo 30 als Standard in Ortschaften – und Verkehrsberuhigung in Wohngebieten. Wenn das Verkehrstempo gering ist, vertragen sich die Verkehrsarten viel besser – und fühlen sich auch angenehmer und sicherer an. Im Grunde geht es aber immer auch um eine gemeinsame neue Organisation des öffentlichen Raumes.

Auf Bundesebene ignoriert Verkehrsminister Volker Wissing jedoch die wissenschaftliche
Erkenntnis, dass ein geringeres Tempo wie etwa 30 in Städten das Unterwegssein für alle Verkehrsteilnehmer sicherer macht. Was tun, wenn Fakten ignoriert werden?
Man darf sich von den Fakten und der Vernunft nicht abbringen lassen. Der ADFC hält an der sachlichen Diskussion und seiner klaren Haltung fest. Es ist wichtig, die Argumente zu wiederholen, die vernünftig sind, um den Radverkehr auszubauen.

Als ausgebildete Mediatorin helfen Sie zerstrittenen Parteien, ihre Konflikte konstruktiv beizulegen. Benötigt die Verkehrswende eine andere Kommunikationsstruktur?
Auf jeden Fall. Die Verkehrswende ist eine große gesellschaftliche Veränderung. Um sie gut zu gestalten, brauchen wir kreative Lösungen. Dafür müssen viele Beteiligte gehört werden; wir müssen respektvoll miteinander kommunizieren, um neue Lösungen zu finden. Es geht in der Mediation nie darum, dass eine Partei recht bekommt, sondern dass man im Laufe des Prozesses einen dritten oder vierten Vorschlag findet, auf den sich alle einigen können.

Andere NGOs, wie Changing Cities, haben in den vergangenen Jahren über die Radentscheide den Ausbau der Radinfrastruktur eingefordert und massiv vorangebracht. Diese NGOs treten in ihrer Kommunikation oft eher aggressiv auf, greifen politisch Verantwortliche mit harscher Kritik direkt an, wenn ihre Forderungen nicht umgesetzt werden. Ist der ADFC vielleicht etwas zu brav?
Interessanter Gedanke. Aus meiner Sicht tut der ADFC gut daran, sich seine fachliche Tiefe zu erhalten. Mich beeindrucken unsere Aktiven, die ein wahnsinnig umfangreiches Fachwissen mitbringen und das vor Ort politisch einbringen. Damit bringen sie den Ausbau der Radinfrastruktur in den Kommunen voran. Diese Sachlichkeit und Expertise sind unser Markenzeichen und mir wichtig.

Also lieber auf der Fahrraddemo mitfahren, als sie selbst zu organisieren?
Nein, die großen Sternfahrten organisieren wir schon gerne selbst, in diesem Sommer beispielsweise in München, Berlin, Düsseldorf, Dresden, Hamburg, Köln und Frankfurt.

Seit ein paar Jahren hat der ADFC eine weibliche Doppelspitze.Warum?
Wichtig sind vor allem unsere Gremien. Sie werden gendergerecht besetzt, weil wir wollen, dass möglichst alle Perspektiven gehört und auch eingebracht werden. Nur wenn das der Fall ist, wird sicheres Radfahren für alle möglich. Wir stärken den Radverkehr, indem wir viele unterschiedliche Menschen aufs Fahrrad bringen. In den Bereichen Gender und der Altersstruktur sind wir bereits relativ gut. Aber wir müssen noch diverser werden und auch Aspekte wie „Herkunft“ stärker beachten. Wenn wir Menschen jeden Alters und unterschiedlicher Herkunft aufs Fahrrad bringen wollen, brauchen wir unter anderem ausreichend Fahrradkurse für Migrantinnen und eine Infrastruktur, auf der alle, langsame und schnelle Radfahrende, sicher gemeinsam unterwegs sind. Wir haben auf diesem Gebiet tatsächlich noch einiges zu tun.

Viele Städte haben in den vergangenen Jahren den Ausbau des Radverkehrs massiv vorangetrieben, um ihre Klimaziele zu erreichen. Berlin war lange Vorreiter, seit dem Regierungswechsel im Sommer 2023 hat die CDU-Regierung den Ausbau des Radverkehrs jedoch massiv gebremst. Kann der Umbau des Verkehrs zu mehr nachhaltiger Mobilität noch
gestoppt werden?

Ich glaube nicht – die Argumente sind einfach zu bestechend. Das wäre auch überaus kontraproduktiv im Umgang mit all den Ressourcen, die investiert wurden in Wissen, Geld und auch dem Potenzial für den Klimaschutz. Ich bin davon überzeugt, dass die Verkehrswende von der Gesellschaft grundsätzlich gewollt ist. Aber die Umsetzung braucht Zeit und vor allem gute Beispiele in den Kommunen.
Ich war kürzlich in Köln und bin dort am frühen Samstagmorgen mit dem Rad über die Ringe gefahren; das war schon relativ komfortabel. Bislang nicht auf der gesamten Strecke, aber über weite Abschnitte. Auf den Ringen spürt man beim Radfahren, dass die Verkehrswende begonnen hat. Ich bin davon überzeugt, je besser das Radnetz wird, umso mehr wächst auch die Akzeptanz der Menschen für den weiteren Ausbau des Radverkehrs. Wenn sich die Menschen beim Radfahren sicher fühlen, werden sie das Rad häufiger nutzen. Und das ist ein Gewinn für alle.


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